Die Vorweihnachtszeit ist Hochbetriebszeit im Versandhandel. Inzwischen macht sich jedoch auch hier der Fachkräftemangel bemerkbar. Das liegt unter anderem an den Missständen in der Branche.
Im diesjährigen Weihnachtsgeschäft rechnet die Branche mit 435 Millionen Sendungen. Bereits im November hatte der Bundesverband Logistik vor Lieferengpässen im Weihnachtsgeschäft gewarnt: Wer jetzt noch bestellt, riskiert möglicherweise, dass das Paket nicht mehr rechtzeitig ankommt.
Undurchsichtige Strukturen
Während bei dem Unternehmen DHL der Anteil der Festangestellten auf der sogenannten „Letzten Meile“ zum Endkunden vergleichsweise hoch ist, arbeiten die Konkurrenten Hermes und DPD sowie Versandhändler Amazon überwiegend mit Subunternehmern. Die dort herrschenden teils undurchsichtigen Strukturen führen oft zu erheblichen Missständen in der Branche. Durch sogenannte Kettenverträge wird der Urlaubsanspruch umgangen, Scheinselbständigkeit verhindert eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Generell ist der Arbeitsalltag geprägt von viel zu hohen Leistungsvorgaben. Das führt zu täglichen unbezahlten Überstunden. Das ohnehin schon niedrige Lohnniveau wird so weiter reduziert.
Fahrer kennen ihre Rechte nicht
Auch die in der Weihnachtszeit geforderten LKW-Fahrer, die im Speditionsbetrieb die Logistiklager und Verteilerzentren bedienen, werden mittlerweile dringend gesucht. Der Beruf ist jedoch so unattraktiv geworden, dass es kaum noch Nachwuchs gibt, der die bald vielfach in Rente gehenden Fahrer*innen ersetzen könnte. Wie auch bei den Paketzustellern kommen viele Fahrer inzwischen aus dem osteuropäischen Ausland, vom Kaukasus oder sogar aus den Philippinen. „Oft haben die Fahrer Verträge unterschrieben, die sie aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht verstehen. Auch ihre Rechte kennen sie meist nicht“, sagt Irene Knoke vom Institut SÜDWIND, das die menschenrechtlichen Risiken in der Transport- und Logistikbranche untersucht. „Wer seine Rechte nicht kennt, kann sie nicht einfordern – das gehört sicher auch zum Kalkül der Branche.“
Niedrige Löhne in der Lagerlogistik
Der Blick sollte sich zudem auf die vielen Arbeitskräfte in den Warenlagern richten. Dass sich die Speditions- und Logistikbranche bei der Bezahlung ihrer Beschäftigten klar unterhalb des durchschnittlichen Lohnniveaus befindet, hat vor allem mit dem niedrigen Lohnniveau in der Lagerlogistik zu tun. Gleichzeitig ist die physische und psychische Belastung sehr hoch. Die Arbeit ist von einem hohen Maß an repetitiver und körperlicher Arbeit geprägt. Die Arbeitsbedingungen haben ein erhöhtes Unfallrisiko zur Folge. Zudem sind die Arbeitsprozesse sehr kleinteilig, verknüpft mit einem hohen Maß an Digitalisierung.
„Als Kundin freue ich mich, wenn ich mein Paket zu jeder Zeit genau verfolgen kann und weiß, ob es zu Weihnachten noch ankommt. Für viele Beschäftigten bringen diese Tools aber auch die genaue Überwachung der Arbeitsabläufe und der Produktivität mit sich. Das führt zu enormem Stress,“ stellt Irene Knoke fest.
Verbesserungen durch das Lieferkettengesetz in Aussicht
„Abhilfe schaffen könnte das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das das Potential hat, nicht nur die Missstände auf der sogenannten letzten Meile anzugehen. Die Unternehmen, die Transportaufträge vergeben, kennen die Risiken und müssen sie angehen. Eine Abschwächung des Gesetzes, wie es gegenwärtig leider im Raum steht, wäre kontraproduktiv – und ein Schlag ins Gesicht für all diejenigen, die buchstäblich alles dafür geben, dass die Weihnachtsgeschenke rechtzeitig unter dem Baum liegen.“
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