In der Sendung „phoenix persönlich“ schaut Steffen Mau, Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität Berlin, mit großer Sorge auf die kommenden Landtagswahlen – als Kipppunkt der demokratischen Entwicklung. Und er erläutert im Gespräch mit Theo Koll die These seines noch im Druck befindlichen Buchs, dass das Land ungleich vereint sei und der Osten Deutschlands anders bleiben wird.
„Es gibt so etwas wie eine ostdeutsche Identität, ein ostdeutsches Bewusstsein“, sagt der Soziologe Steffen Mau, auch 35 Jahre nach Mauerfall. Ursprünglich habe es eine Erwartung gegeben, „dass der Osten sich dem Westen anverwandelt, dass es eine langfristige Konvergenz gibt, ökonomisch und auch von den Einkommen her ist das ja gewollt gewesen“. Heute würde er bilanzieren, alles habe sich nicht angeglichen, sondern es gibt „viele Dinge, die durchaus anders bleiben in der politischen Kultur, aber auch in den sozialen Strukturen, in den Mentalitäten. Dass der Osten verschwindet oder dass wir so etwas wie eine innere Einheit haben, die dann möglicherweise darauf hinausläuft, dass wir uns gar nicht mehr unterscheiden, das ist relativ unwahrscheinlich.“ Selbst Menschen, die zur Nachwendegeneration gehörten, würden sich als Ostdeutsche fühlen, erklärt Mau, sogar mehr als die Älteren. „Bei der jüngeren Generation wird es nochmal stärker.“
Es gebe Dinge, die „wie einzementiert“ seien, beispielsweise die Vermögensverhältnisse, dass im Osten nur sehr wenig vererbt werde, dass die Einkommen kleiner seien, so Mau weiter. Und er verweist auf Unterschiede in der politischen Kultur zwischen einer „gestandenen und gewachsenen Demokratie“, vor allem der Parteiendemokratie im Westen und einer sehr viel kürzeren Demokratie im Osten. „Wenn wir über Fragen von Parteimitgliedschaft und Schwäche von Volksparteien nachdenken“, könnte sich der Osten als „Pionierregion“ erweisen.
Mit großer Sorge blickt der Soziologe auf die anstehenden Landtagswahlen. „Das sind für mich sehr entscheidende Wahlen, die im Hinblick auf die demokratische Entwicklung ein Kipppunkt sind.“ Es werde „unglaublich viel Druck geben“, auch neue Formen von Regierungsbildung auszuprobieren, „also Minderheitsregierung, aber auch ungeliebte Bündnisse mit sehr vielen unterschiedlichen politischen Farben. Und es wird natürlich die Verlockung geben, möglicherweise auf strategische Optionen zu erweitern“, indem man zwar nicht mit der AfD koaliere, aber doch vielleicht eine Form von „verabredeter Zusammenarbeit“ hinzubekommen, prognostiziert Mau. „Ich glaube, das würde die deutsche politische Landschaft enorm umpflügen.“
Bei Thema Migration sieht Mau beim „Gros der Bevölkerung“ die Haltung, „Migration ist in Ordnung, solange das reguliert und gesteuert ist, solange die Integration ins Bildungssystem und in den Arbeitsmarkt gelingt.“ In Ostdeutschland gebe es „mehr Ressentiment“ gegenüber Migration. „Aber wenn man sich die ostdeutsche Altersstruktur anschaut, dann sieht man, dass es eine schrumpfende Gesellschaft ist, es gehen viel, viel mehr Leute aus dem Arbeitsmarkt raus als eintreten. Das heißt, Ostdeutschland ist mehr als jede andere Region auf Zuwanderung angewiesen. Und von daher ist es schon eine kritische Situation, wenn gerade diese Landkreise oder Bundesländer, die Migration dringendst brauchen, um überhaupt ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben, dass die sich besonders stark verschließen.“
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