- Berichterstattungsstelle analysiert alle verfügbaren Daten
- Betroffene können Rechte häufig nicht wahrnehmen
Menschenhandel findet jeden Tag in Deutschland statt und hat die unterschiedlichsten Formen: Menschen werden beispielsweise für die Prostitution oder Arbeiten auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder in der häuslichen Pflege angeworben. Sie arbeiten länger als die gesetzlich zulässige Arbeitszeit, erhalten keinen oder kaum Lohn, haben schlechte Unterkünfte, erfahren körperliche oder psychische Gewalt und werden genötigt, in diesen Verhältnissen zu bleiben.
„Eine umfassende und einheitliche Datenerfassung zum Thema Menschenhandel gibt es bisher nicht. Dies ist wichtig, weil belastbare Daten die Basis für effektives politisches Handeln sind. Der Monitor Menschenhandel in Deutschland stellt nun erstmals alle verfügbaren Daten von Bundes- und Landesbehörden sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen gebündelt dar und wertet sie aus“, erklärt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Die Berichterstattungsstelle Menschenhandel des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat den Bericht heute in Berlin vorgestellt.
„Erstmals stehen mit dem Monitor Menschenhandel in Deutschland der Öffentlichkeit Daten zu Betroffenen aller Ausbeutungsformen für alle Bundesländer zur Verfügung, die sich über mehrere Jahre hinweg vergleichen lassen und über die Hellfeldzahlen des BKA hinausgehen. Die Datenlage muss kontinuierlich verbessert werden. Nur so können das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen und die Lücken im Hilfesystem sichtbar werden. Dies trägt dazu bei, politische Entscheidungen evidenzbasiert zu treffen und den Zugang der Betroffenen zu ihren Rechten zu gewährleisten“, sagt Naile Tanis, Leiterin der Berichterstattungsstelle Menschenhandel.
Der Bericht, der künftig alle zwei Jahre erscheinen wird, enthält Daten zu Betroffenen aller Ausbeutungsformen und zu allen Bundesländern. Zudem beschreibt er, was Deutschland im Zeitraum 2020 bis 2022 zur Umsetzung der Europaratskonvention und der EU-Richtlinie gegen Menschenhandel auf den Weg gebracht hat.
Die europäischen Vorgaben verpflichten Deutschland nicht nur zu effektiver Strafverfolgung und Prävention, sondern machen auch Vorgaben für Schutz und Unterstützung der Betroffenen. „Die Bundesländer setzen die Vorgaben bisher sehr unterschiedlich um, auch hinsichtlich der Rechte der Betroffenen. Ob Betroffene Hilfe erfahren und ihre Rechte wahrnehmen können, darf jedoch nicht davon abhängen, wo sie sich in Deutschland aufhalten“, resümiert Tanis.
Die Auswertung der Berichterstattungsstelle zeigt auf: Zwischen 2020 und 2022 haben Ermittlungsbehörden 3.155 Betroffene von Menschenhandel identifiziert. Das sind durchschnittlich fast drei Betroffene pro Tag. Von diesen drei Personen war im Schnitt eine Person männlich und zwei weiblich. Das Verhältnis variiert jedoch stark zwischen den Ausbeutungsformen. Laut Bundeskriminalamt (BKA) handelt es sich bei mehr als jeder vierten Person um Minderjährige.
Im gleichen Zeitraum haben 3.704 Personen, bei denen der Verdacht auf Menschenhandel oder Ausbeutung vorlag, Beratung bei spezialisierten Fachberatungsstellen oder arbeitsrechtlichen Beratungsstellen gesucht. Das sind mehr als drei Personen täglich.
Die Schnittmenge zwischen den von den Ermittlungsbehörden erfassten Personen und den Beratungsfällen ist gering. Laut BKA wurden nur 13 Prozent der identifizierten Betroffenen von Fachberatungsstellen beraten.
Bisher gibt es bundesweit kein einheitliches Verfahren und keine einheitlichen Standards, um Betroffene von Menschenhandel als solche überhaupt zu identifizieren und ihnen Zugang zu ihren Rechten zu ermöglichen. Betroffene haben ein Recht auf psychologische Unterstützung und rechtliche Beratung, auf sicheren Wohnraum und medizinische Versorgung. Eine Vielzahl der Hilfen werden von spezialisierten Fachberatungsstellen geleistet. Sie müssen ausreichend und verlässlich durch die Bundesländer gefördert werden.
Zudem ist Betroffenen eine sogenannte Erholungs- und Bedenkzeit zu gewähren. In dieser Zeit dürfen sie nicht abgeschoben werden. So haben Betroffene eine Chance, sich dem Einflussbereich der Tatverdächtigen zu entziehen, von körperlichen Übergriffen zu erholen, psychisch zu stabilisieren und über eine Aussage in einem möglichen Strafverfahren nachzudenken. Die Praxis sieht allerdings häufig anders aus.
Betroffene aus Drittstaaten und auch aus EU-Mitgliedstaaten haben oft Schwierigkeiten, ihre Rechte wahrzunehmen. Das liegt bei Drittstaatsangehörigen auch daran, dass der sozialrechtliche Status mit dem aufenthaltsrechtlichen Status verknüpft ist. „Die Berichterstattungsstelle Menschenhandel empfiehlt, dass Betroffene von Menschenhandel ein Aufenthaltsrecht erhalten, das nicht von der Zusammenarbeit in einem Strafverfahren abhängig ist. Es sollte aus humanitären und persönlichen Gründen gewährt werden“, sagt Tanis. Der Zugang zu Sozialleistungen solle für alle Betroffenen von Menschenhandel, auch für EU-Bürger*innen, niedrigschwellig ausgestaltet sein. Auch die bürokratischen Hürden für eine Entschädigung seien bislang sehr hoch.
Die im Juli 2024 geänderte EU-Richtlinie gegen Menschenhandel erfordert nun Änderungen in Deutschland – bei der Strafverfolgung, der Prävention sowie dem Schutz und der Unterstützung von Betroffenen. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten unter anderem, spezialisierte Schulungen für Berufsgruppen zu fördern, die Kontakt mit (potenziell) Betroffenen von Menschenhandel haben, zum Beispiel bei der Polizei, bei Sozialdiensten und im Gesundheitswesen. Diesen sollen die erforderlichen Kenntnisse zur Prävention und Bekämpfung des Menschenhandels, zur Identifizierung und Unterstützung der Betroffenen vermittelt werden. „Bund und Länder müssen genügend Mittel für diese Schulungen bereitstellen“, fordert Tanis.
Die EU-Richtlinie gibt zudem vor, Nationale Aktionspläne auszuarbeiten und umzusetzen. Zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung des Menschenhandels aller Ausbeutungsformen sowie einen weiteren zur Verhütung der Arbeitsausbeutung und der Zwangsarbeit entwickelt.
Die Bundesregierung hat das Deutsche Institut für Menschenrechte mit der Berichterstattung über die Umsetzung der Europaratskonvention gegen Menschenhandel und der EU-Richtlinie gegen Menschenhandel betraut. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert die vierjährige Aufbauphase.
WEITERE INFORMATIONEN
Monitor Menschenhandel in Deutschland. Erster Periodische Bericht https://ots.de/gOe29K
Kurzfassung – Monitor Menschenhandel in Deutschland https://ots.de/dD0Sx7
Summary Monitoring Report: Human Trafficking in Germany. First Periodic Report https://ots.de/vVuItB
Factsheet 8 Fragen 8 Antworten. https://ots.de/NQn4wW
Pressekontakt:
Bettina Hildebrand, Pressesprecherin
Telefon: 030 259 359 – 13 * Mobil: 0160 96650083
E-Mail: hildebrand@institut-fuer-menschenrechte.de
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