US-Präsident Biden hat aus gutem Grund lange gezögert, der Ukraine den Einsatz weitreichender amerikanischer Raketen auch gegen Ziele in Russland zu erlauben. Völkerrechtlich gibt es keine Bedenken, sicherheitspolitisch aber ist es ein Balanceakt. Niemand weiß, wie Kriegsherr Putin reagiert. Der Kremlherrscher wusste, dass Bidens Geduld zu Ende geht – und hat trotzdem den Druck auf die Ukraine erhöht: Putin lässt sich von seinem Diktator-Freund Kim nicht nur schwere Waffen, sondern auch Tausende Soldaten aus Nordkorea als Verstärkung an die Front schicken. Russland hat zugleich den Raketenterror gegen zivile Ziele in der Ukraine immens verstärkt. Dass Biden die Lage nun neu bewertet und ein Tabu bricht, ist nachvollziehbar.
Muss deshalb auch die Bundesregierung umschwenken und deutsche Taurus-Marschflugkörper liefern? Nein. Der Taurus mit seiner relativ großen Reichweite wäre die einzige Waffe des Westens, mit der die Ukraine direkt und präzise Ziele in Moskau angreifen könnte, den Kreml eingeschlossen; kurzfristig müssten wohl auch deutsche Soldaten beim Einsatz helfen. Das wäre eine ganz andere, gefährlichere Qualität der Unterstützung als der US-Beitrag, es brächte Deutschland viel stärker in die Schusslinie.
Der der Westen ist gut beraten, seine Eskalationsschritte klug einzuteilen. Viel hat er nicht mehr nachzulegen, der Taurus könnte die Antwort auf weitere Zuspitzungen sein. Scholz sollte Putin aber ruhig wissen lassen, dass er sich diese Option offenhält. Sein bloßes „Nein“ ist vielleicht gut für den Wahlkampf, aber sicherheitspolitisch keine gute Taktik. Russland darf keinen Zweifel hegen, dass auch der Westen rote Linien hat.
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