Zum ersten Mal seit fast einem Jahr Krieg herrscht in Israel nun so etwas wie Euphorie. Die Tötung von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah gibt den Israelis, die vom Horror des 7. Oktober noch immer gezeichnet sind, erstmals wieder das Gefühl, dass Armee und Geheimdienste die Oberhand haben. Das zeigte sich schon bei der spektakulären Pager-Attacke im Libanon, danach bei der Tötung des seit Jahrzehnten gesuchten Nasrallah-Stellvertreters Ibrahim Akil – und jetzt beim erfolgreichen Angriff auf das Hisbollah-Hauptquartier, in dem sich Nasrallah aufhielt.
Dessen Tod ist der vorläufige Höhepunkt einer grandiosen Tour de Force der israelischen Streitkräfte im Libanon. Es besteht kein Zweifel, dass er die Moral der israelischen Truppen heben wird. Bringt er aber auch die Wende im Krieg, wie viele in Israel nun behaupten – oder sogar eine Neuordnung im Nahen Osten, wie Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu prophezeit?
Auf jeden Fall hat der Tod Nasrallahs eine Tür geöffnet, um neue Verhältnisse zu schaffen. Nasrallah war die zentrale Verbindungsfigur zwischen der Hisbollah im Libanon und den Revolutionsgarden im Iran. Diese Verbindung fehlt nun, und es wird schwer sein, die Lücke zu füllen. Die Hisbollah ist für Teheran wichtig, um Israel zu schwächen und den Staat von Angriffen auf die iranische nukleare Infrastruktur abzuhalten. Dieser Abschreckungsfaktor fehlt dem Iran nun, wenigstens für einige Zeit. Zugleich steht auch die zweite wichtige Säule im Kampf gegen Israel, die Hamas in Gaza, vor ihren Trümmern – im wahrsten Sinne des Wortes. Man kann also sagen: Es ist Israel gelungen, den iranischen Einfluss in der Region binnen kurzer Zeit zu dezimieren.
Ob es dabei bleibt, wird aber von einigen Faktoren abhängen. Die Hisbollah ist zwar geschwächt, aber sie ist nicht geschlagen. Teheran könnte nun entscheiden, dass es zu riskant wäre, den wichtigsten Stellvertreter in der Region einfach fallen zu lassen – und massiv in den Wiederaufbau der Hisbollah investieren. Es wird viel diplomatisches Geschick seitens der USA und Europa brauchen, um die gemäßigten Kräfte im Libanon zu stärken, damit sie das Machtvakuum füllen, das die teilweise Zerstörung der Hisbollah hinterlässt.
Bei aller Euphorie über die Tötung ihres Erzfeindes im Libanon müssen aber auch optimistische Militäranalysten in Israel zugeben, dass damit der Krieg im Norden noch nicht gewonnen ist. Immer noch hagelt es Raketen auf Israel, wenn auch weniger als zuvor. Für die mindestens 60.000 in Sicherheit gebrachten Israelis ist eine Rückkehr in ihre Häuser im Norden bis auf Weiteres nicht in Sicht. Dafür wird es wohl einen Einmarsch der Truppen brauchen, wenn Israel weiter auf militärische Mittel und nicht auf Verhandlungen setzen will. Und eine solche Bodenoffensive kann sehr schmerzhaft und blutig werden – auf beiden Seiten.
Dann gibt es auch noch die Front in Gaza. Israel hofft, dass der massive Schlag gegen die Hisbollah Druck auf die Hamas ausüben wird, um einem Geisel-Deal zuzustimmen. Ob das gelingt, ist fraglich: Hamas-Chef Yahya Sinwar hat bisher Ausdauer bewiesen – auf Kosten der Bevölkerung in Gaza. Er weiß, dass Israel großes Interesse hat, die Geiseln zurückzubekommen. Daher wird er weiterhin in den Verhandlungen den Preis für einen Deal nicht zu gering ansetzen. Diesen Preis werden die rechtsextremen Kräfte in Israels Regierung aber nicht bezahlen wollen. Es ist ein gordischer Knoten, den auch Nasrallahs Tod nicht auflösen wird.
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