Das ist noch mal gut gegangen. Mit deutlicher Mehrheit hat das EU-Parlament Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin wiedergewählt. 40 Stimmen über den Durst sind unter den erschwerten Bedingungen ein gutes Ergebnis: Das informelle Bündnis aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen, das ihre Wahl sichern sollte, ist mit der Europawahl geschrumpft. Von der Leyen musste es deshalb in einem gewagten Spagat gelingen, einerseits die Grünen ins Boot zu holen und andererseits Stimmen von Giorgia Melonis Rechtspopulisten zu sichern, ohne mit ihnen ein Bündnis einzugehen.
Machtpolitisch ist das eine beachtliche Leistung, die allerdings ohne die Vernunft der Abgeordneten-Mehrheit nicht möglich gewesen wäre: Vorbehalte gegen die allzu selbstbewusste Präsidentin gab es reichlich, aber genügend Abgeordnete folgten am Ende, teils zähneknirschend, der Einsicht, dass die Alternative nicht attraktiver war: Wäre von der Leyen gescheitert, hätte die EU vor Monaten quälender Personaldebatten gestanden. Für die Präsidentin spricht jetzt vor allem ihre Erfahrung: Fünf Jahre regiert sie schon in der Kommissionszentrale, sie kennt das Geschäft und seine Untiefen, hat sich in mehreren Krisen mal besser, mal schlechter geschlagen und ein Netzwerk nicht nur in Europa, sondern auch darüber hinaus aufgebaut.
Profil hat die Präsidentin erst in der Klimapolitik entwickelt, ihr großer Ehrgeiz aber gilt der Bühne der internationalen Politik – von Kiew über Washington bis Peking. Allerdings ist in der europäischen Außenpolitik Teamarbeit gefragt, drei EU-Spitzenpolitiker und 27 Staats- und Regierungschefs teilen sich die Verantwortung. Im Bemühen, ganz vorn und möglichst allein auf dieser Bühne zu spielen, hat von der Leyen bei ihren eigentlichen Aufgaben als Chefin einer Riesenbehörde manches schleifen lassen: In ihrer ersten Amtszeit hat die Brüsseler Regelungswut ein immenses Wachstum an Bürokratielasten produziert, die irrwitzigsten Auflagen beim Klima- und Umweltschutz konnten die Mitgliedsstaaten noch verhindern. Belange der Wirtschaft und des Binnenmarktes blieben unterbelichtet, der Schutz der Rechtsstaatlichkeit auch.
All das soll jetzt der Vergangenheit angehören, folgt man den Ankündigungen von der Leyens. Die Außenpolitik erwähnte sie so gut wie gar nicht, versprach stattdessen in teils scharfen Kehrtwenden Bürokratieabbau, einen wirtschaftsverträglichen Klimaschutz, einen Rückzieher beim Verbrenner-Aus oder eine Verteidigungsunion – Letzteres ein Thema, das die Präsidentin fünf Jahre lang weitgehend ignoriert hat. Nicht nur hier stellt sich die Frage: Warum erst jetzt? Vieles hätte von der Leyen früher anpacken müssen.
Aber besser spät als nie. Das Programm, das sie entworfen hat, klingt durchaus eindrucksvoll. Doch ist offenkundig, dass es sich zum guten Teil um vage Versprechen in schönen Schlagworten handelt, die vor allem einen Zweck hatten: von der Leyens Mehrheit zu sichern. Wofür die Präsidentin künftig wirklich einsteht, ist nach ihrem Zickzack-Kurs ungewiss. Enttäuschungen stehen bevor. Die Abgeordneten wussten es, viele haben trotzdem aus staatspolitischer Verantwortung für sie gestimmt, um in Krisenzeiten eine führungslose Kommission zu verhindern. Es wäre verhängnisvoll, wenn die Präsidentin das Wahlergebnis missversteht. Ihr Amt hat sie clever verteidigt, aber ihre Glaubwürdigkeit hat in den letzten Monaten arg gelitten. Neues Vertrauen wird sich von der Leyen erst noch hart erarbeiten müssen.
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