Spitzenpolitik ist kaum divers. Das entfremdet – und muss sich ändern
Olaf, Robert, Christian, Boris, Lars, Friedrich, Markus, Carsten, Hendrik, Matthias. Was haben diese Vornamen gemeinsam? Sie gehören zum aktuellen Tableau der deutschen Spitzenpolitik. Sie ringen um Macht, sie führen Regierungen an – oder wollen es wenigstens. Alle männlich, alle klassisch deutsch. Die Namen entlarven, dass die Politik ein Männer-Problem hat. Frauen laufen derzeit allenfalls in Nebenrollen über die Bühne. Saskia Esken zum Beispiel. Oder Annalena Baerbock.
Im Rampenlicht dagegen: die Politiker. Die Grünen inszenieren Robert Habeck als Popstar auf dem Parteitag. Habeck flankiert seinen grünen Hahnenkamm mit selbstverliebten Social-Media-Videos (immerhin vom Küchentisch, nicht aus dem Chefsessel). Olaf Scholz driftet in seiner Ampel-Aus-Rede in aggressive Männlichkeitsrhetorik ab. Fehler machen in Scholz‘ Logik ohnehin nur die anderen (sehr männlich). Und Christian Lindner verlor in seinem Porsche 911 (schnelle Autos sind sehr wichtig für Männer) gerade die Kontrolle auf der Ampel-Autobahn und donnerte letztlich in politische Sumpflandschaften.
Der Bundestag besteht (nur) zu einem Drittel aus Frauen – auf den wichtigen Posten wird es noch dünner. Mit der Nominierung von Pistorius zum Verteidigungsminister gab Scholz die proklamierte Parität im Kabinett auf.
Doch nicht nur das: Auch Ostdeutsche spielen im oberen Machtzirkel keine große Rolle, Menschen mit Migrationsgeschichte kommen kaum vor (Cem Özdemir ausgenommen). Wer nach den Berufen von Spitzenpolitikern fragt, hört meist: Jurist. Der öffentliche Dienst ist stark überrepräsentiert. Bankkauffrau, Handwerker, Feuerwehrfrau dagegen Einzelfälle. Menschen mit Behinderungen ohnehin. Wir leben in einer repräsentativen Demokratie. Doch die Repräsentationslücke zwischen „Volk“ und Politik ist zu einem Grand Canyon gewachsen. Menschen fremdeln mit den politischen Entscheidern, ein wachsender Teil fühlt sich von Parteien nicht gehört. Bei der Wahl in Thüringen kam die Ampel aus SPD, FDP und Grünen auf zehn Prozent der Stimmen.
Die AfD erlebt einen Aufstieg, vor allem im Osten. Ihre radikale Rhetorik speist sich vor allem aus einem Ressentiment: gegen „die da oben“, gegen „die Eliten“, das „Altparteienkartell“. Sie können dieses Bild auch deshalb ausschlachten, weil ihre Anhängerschaft sich von anderen nicht mehr vertreten fühlt. Die Partei führen eine lesbische Frau und ein sächsischer Malermeister. Ihre Politik ist alles andere als fortschrittlich. Und doch stößt sie in eine eklatant offen gelassene Lücke.
SPD, Grüne, FDP und CDU (ein Viertel der Union im Bundestag ist weiblich) müssen diverser werden. Geschlechtergerechter. Doch Diversität lässt sich nicht mit Quoten erreichen. Eine identitätspolitische Klausel, die einen Anteil von zehn Prozent queeren Menschen oder 50 Prozent Frauen im Bundestag vorschreibt, verstößt gegen die Verfassung, die ein freies Wahlrecht nicht an Eigenschaften von Kandidaten knüpfen darf. Wahlen sollen demokratisch sein, nicht demografisch.
Stattdessen müssen Parteien ernst nehmen, was die Wissenschaft längst sagt: Vielfalt macht Organisationen in vielen Bereichen besser. Analysen zeigen, wie Unternehmen produktiver sind, wenn ihre Belegschaft divers ist. Gruppen entwickeln innovative Dynamiken, wenn dort nicht nur 50-Jährige sitzen. Und so tut weniger Männlichkeit auch der Politik gut. Olaf, Robert und Christian haben das in ihrem Ampel-Fiasko gerade bewiesen.
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