Normalerweise sind Rekorde ein guter Grund zum Feiern – es sei denn, es geht ums Klima. Im Juni versank Süddeutschland in den Fluten eines Jahrhunderthochwassers, im Juli meldete der Klimawandeldienst Copernicus den heißesten Tag auf der Erde seit Beginn der Aufzeichnung im Jahr 1940.[1] Lange werden diese Rekorde angesichts des Klimawandels nicht halten. Unter dem Extremwetter leiden vor allem Städte und Gemeinden, die für solche Wetterphänomene baulich nicht konzipiert sind. Das neue Klimaanpassungsgesetz des Bundes will das ändern und nimmt Länder und Kommunen in die Pflicht, entsprechende Strategien auszuarbeiten. In Nordrhein-Westfalen zeigen beispielsweise die Stadt Dormagen und der Kreis Düren, wie ein solcher Klimaanpassungspfad aussehen kann. Gemeinsam mit dem auf Bau und Infrastruktur spezialisierten Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE erarbeiten sie Maßnahmen, um sich besser für Wetterextreme zu wappnen.
„Wir wollen Dormagen klimafit machen“, sagt Janis Hackbarth, der seit über einem Jahr als Klimaanpassungsmanager der Stadt Dormagen arbeitet. Zwar habe die Stadt vor fast fünfzehn Jahren zusammen mit lokalen Naturschutzverbänden ein Klimaschutzkonzept auf den Weg gebracht, das beispielsweise erneuerbare Energien oder den Ausbau des ÖPNV gefördert habe. Nun will Dormagen noch einen Schritt weiter gehen. „Derzeit analysieren wir genau, mit welchen Maßnahmen wir uns am besten an den Klimawandel anpassen und uns vor Hitze, Starkregen und Hochwasser schützen können“, so Hackbarth weiter.
Schutz vor Hochwasser und Starkregen
Für Tanja Sprenger, die als Klimaanpassungsberaterin bei Drees & Sommer die Stadt begleitet, ist der erste Schritt jedes Maßnahmenplans eine sogenannte Betroffenheitsanalyse. „Zuerst geht es immer um eine Bestandsaufnahme der Klimaveränderungen vor Ort und um deren Folgen. Dormagen erstreckt sich über eine Fläche von 85 Quadratkilometern und grenzt im Norden und Osten direkt an den Rhein. Zudem winden sich zahlreiche Bäche durch die Stadt. Im Extremfall können demnach große Teile der Stadt vom Hochwasser betroffen sein.“
Zum Rhein hin gibt es bereits mobile Hochwasserschutzsysteme, die die Stadt bei Überflutung schützen können. Das allein reicht in Zukunft bei einem Starkregenereignis aber nicht aus. Die Stadt will daher mehr Versickerungsflächen schaffen, die bei Wolkenbrüchen überschüssiges Wasser aufnehmen. „Plätze und Wege müssen nicht immer asphaltiert sein. Schotter wie im Biergarten und Rasengittersteine auf Parkplätzen tun es auch“, erläutert Sprenger. Geht es um versiegelte Flächen, hat Janis Hackbarth vor allem die städtischen Schulhöfe und Plätze im Blick: „Dort sind viel zu viele versiegelte Flächen. Dagegen wollen wir dringend etwas unternehmen, mehr Grün pflanzen und damit auch die Aufenthaltsqualität erhöhen“, sagt Hackbarth. Dach- und Fassadenbegrünungen sowie klimaangepasste Bepflanzung seien ein großes Thema. Die zusätzlichen Grünflächen haben neben der Versickerung noch einen weiteren positiven Effekt: An heißen Tagen sorgen sie für Schatten, Verdunstungskühle und eine bessere Luftqualität.
Hot Spot Innenstadt
Die bislang hohe Versiegelung mit Beton, Asphalt und Glas führt in den Sommermonaten zum sogenannten Heat-Island-Effekt. „In Städten kann es dann um bis zu 10 Grad wärmer als im Umland werden. Mit Verschattung und vor allem der richtigen Bepflanzung können Städte das Mikroklima entscheidend verbessern“, weiß Tanja Sprenger. Das dauere allerdings seine Zeit und müsse mit schnellen und kostengünstigen Maßnahmen kombiniert werden. Dormagen hat deswegen an besonders belebten Plätzen und in der Fußgängerzone erste kostenlose Trinkwasserbrunnen installiert, die zu häufigem Trinken animieren und vor hitzebedingten Erkrankungen besser schützen sollen. Zusätzlich prüft die Stadt, inwieweit digitale Tools bei der Klimaanpassung helfen können. Denkbar ist beispielsweise der Einsatz von Sensorik oder auch Apps, in denen die Menschen markieren können, wo sich Hitze-Hot-Spots befinden.
Verantwortlich für eine gelungene Klimaanpassung ist aber nicht nur die Stadt allein: Viele Grundstücke befinden sich in Privateigentum, weswegen es laut Sprenger wichtig sei, die Bevölkerung einzubeziehen: „Eigentümer:innen können sich durch Bepflanzung und Verschattung besser schützen. Zudem gibt es kostengünstige Maßnahmen, um Bestandsbauten im Notfall vor Überschwemmungen zu schützen. Bewährt haben sich der Einbau von Pumpen und Rückschlagklappen, das Hochziehen von Lichtschächten oder der Einbau von Kellertüren und -fenstern, die dem Wasserdruck standhalten.“ Um möglichst schnell Erfolge zu erzielen, bezuschusst die Stadt Dormagen daher Privatpersonen, die in ihren Gärten klimaresistente Bäume pflanzen. Klimaanpassung sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die das Mitwirken von allen erfordere.
Kreis Düren: Klimawald statt Tagebau
Einer, der sich dieser Aufgabe ebenfalls angenommen hat, ist Moritz Gebauer. Er ist einer von drei Klimaanpassungsmanagern des Kreises Düren. Gemeinsam haben sie die Aufgabe, für fünfzehn Städte und Gemeinden ein passgenaues Konzept zu entwickeln. Dabei hebt Gebauer die Rolle der Bürgerbeteiligung hervor: „Unser Ziel ist es, ein Bewusstsein für die Klimaveränderungen zu schaffen. Mit den Veranstaltungen und Workshops wollen wir die Bürgerinnen und Bürger für das Thema sensibilisieren, aber gleichzeitig auch Ideen generieren“, so Gebauer. Dabei steht der Kreis vor besonders großen Herausforderungen: Teile des Kreises liegen im sogenannten Rheinischen Revier, dem größten zusammenhängenden Braunkohleabbaugebiet Europas. Hier hat der Tagebau immense Spuren hinterlassen. „Überall, wo Kohle gefördert wurde, mussten Dörfer und Natur kargen Abraumhalden weichen. Abgesenktes Grundwasser und zerstörte Lebensräume sind prägende Elemente. Die sukzessive Verfüllung der Tagebaue mit Wasser und Rückgabe dieser riesigen Flächen an die Bevölkerung und die Natur birgt riesige Chancen“, sagt Sprenger.
So könnte der Strukturwandel hier eine Chance sein, das Gebiet zu renaturieren. Die Gemeinden am Tagebaurand sind beispielsweise von staubigen Winden aus Tagebaurichtung, starken Sturmböen, Hitze und Dürreereignissen betroffen. Die Neuanlage von Gewässern und Grün könnte künftig auch hier neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen schaffen und die Auswirkungen von Extremwetterereignissen mildern. Konkrete Initiativen gibt es bereits: In den Gemeinden Inden und Altdorf sollen um und auf ehemaligen Tagebauflächen Klimawälder entstehen, die zukünftigen klimatischen Bedingungen angepasst sind. Ziel sind insgesamt 300.000 Bäume im gesamten Kreisgebiet, die widerstandsfähiger gegenüber Trockenheit sind. „Die beste Klimaanpassung ist der effektive Klimaschutz. Wir müssen immer präventiv und proaktiv agieren und nicht erst handeln, wenn etwas passiert und zu spät ist. Wir wollen das durch unser Klimaanpassungskonzept erarbeiten und schlimmen Folgen vorbeugen“, betont der Landrat des Kreises Düren, Wolfgang Spelthahn.
Kommunale Lösung für globale Probleme
Noch arbeiten der Kreis Düren und die Stadt Dormagen mit Hochdruck an ihren Klimaanpassungskonzepten. Im nächsten Jahr sollen sie ausgearbeitet sein und könnten dann auch anderen Kommunen als Vorbild dienen, wie Tanja Sprenger erklärt: „Die jeweiligen Maßnahmenpakete werden sich je nach örtlichen Gegebenheiten unterscheiden. Es gibt aber auch Erfahrungswerte, die sich auf alle Konzepte übertragen lassen. Eine frühzeitige Beteiligung von Bürger:innen, Verwaltung, Blaulichtorganisationen und weiteren Akteuren ist sehr wichtig, um aufzuklären und gemeinsam Handlungsspielräume zu definieren. Außerdem müssen Privatpersonen, Unternehmen und öffentliche Verwaltung zusammenarbeiten, um beispielsweise Neubaugebiete so anzulegen, dass ausreichend Grün- und Versickerungsflächen geplant werden. Im Bestand kann es helfen, Grünfassaden anzulegen oder versiegelte Flächen aufzuhellen, um Sonneneinstrahlung zu reflektieren.“
Zum Nulltarif gibt es die Klimaanpassung nicht: Die Denkfabrik Agora Energiewende schätzt den Investitionsbedarf von Bund, Ländern und Kommunen auf rund 260 Milliarden Euro, dazu kommen weitere 200 Milliarden für Anreizsysteme.[2] Trotz dieser enormen finanziellen Mittel ist für Tanja Sprenger Abwarten und Nichtstun keine Option: „Aktuelle Berechnungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gehen davon aus, dass die zukünftigen Kosten des Klimawandels bis 2050 zwischen 300 und 900 Milliarden Euro liegen – je nachdem, wie schnell er fortschreitet. Dazu kommen die Folgen, die sich nicht mit Geld ausdrücken lassen. Gesundheitliche Beeinträchtigungen bis hin zu Hitzetoten, Belastung von Ökosystemen und der Verlust von Artenvielfalt gehören ebenfalls in die Rechnung. All das geht in einem Klimaanpassungskonzept für eine nachhaltige Stadt- und Lebensraumentwicklung auf.“
[1] Climate Pulse (copernicus.eu)
[2] Öffentliche Finanzbedarfe für Klimainvestitionen im Zeitraum 2021-2030 (agora-energiewende.de)
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