Eine neue Studie des Fraunhofer IAO zeigt auf, wie der Dienstleistungssektor Gastwelt hilft, unsere Sozialsysteme effektiv zu entlasten – und was er zusätzlich leisten kann, wenn der Rahmen dafür stimmt
Im Vorfeld der Bundestagswahl 2025 ist Migration ein großes Reizthema. Vorurteile haben sich in der Gesellschaft verfestigt, die Themenbereiche „Flüchtlinge“ und „qualifizierte Arbeitskräftezuwanderung“ werden in der öffentlichen Debatte oft vermischt. Eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO im Auftrag der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) zeigt aber auf: Wenn die Eingliederung von Menschen aus dem Ausland in den Arbeitsmarkt schnell und unkompliziert gelingt, stärkt sie dauerhaft unser Sozialsystem und sichert den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Als zentraler Baustein einer Lösung, wie Zuwanderer effektiver in Lohn und Brot gebracht werden, drängt sich die Gastwelt geradezu auf: sie ist Deutschlands wichtigster „Integrationsmotor“. Doch dieser darf durch fehlende politische Unterstützung und wachsender Bürokratie nicht ins Stocken geraten.
Aus Sicht der Fraunhofer-Expertinnen ist klar: Die erfolgreiche Integration von Zuwanderern in der Gastwelt (Tourismus, Hospitality, Foodservice & Freizeitwirtschaft) hat – vor allem mit Blick auf die demografische Entwicklung – spürbare positive Auswirkungen auf die Sozialsysteme und trägt damit maßgeblich zum Erhalt gesellschaftlicher Stabilität in Deutschland bei. Die Voraussetzung dafür: Es muss schneller und einfacher als bisher möglich sein, Migranten in den hiesigen Arbeitsmarkt einzubinden. Die größten Herausforderungen liegen dabei in der Anerkennung ausländischer Qualifikationen und in bestehenden Sprachbarrieren. Hier muss die Politik deutlich mehr tun, um die Betriebe vor Ort gezielt zu unterstützen, so eine zentrale Erkenntnis der Studie, in der 750 Führungskräfte aus der Gastwelt befragt wurden.
Deutschland braucht ausländische Arbeitskräfte, um seinen Wohlstand zu erhalten
Die Bundesrepublik braucht ausländische Arbeitskräfte dringender denn je: Gelingt es nicht, die Personallücken zu schließen, müssen nämlich viele Unternehmen – vor allem im ländlichen Raum – aufgeben. Pro Jahr sind laut Bundesagenturfür Arbeit (BA) mehr als 400.000 Einwanderer erforderlich, um den Fach- und Arbeitskräftemangel zu kompensieren und die deutsche Wirtschaft insgesamt am Laufen zu halten. Allerdings kommen derzeit zu wenige qualifizierte Migranten nach Deutschland, auch weil unser Land für viele internationale Talente aktuell nicht sehr weit oben auf der Liste steht. Im OECD-Vergleich rangiert die Bundesrepublik bei der Fachkräfte-Attraktivität 2023 „nur“ noch auf Platz 15 (2019: Platz 12). Auf der anderen Seite gibt es bei den Menschen ausländischer Herkunft, die bereits länger im Land leben, vor allem unter den Geflüchteten, beträchtliches Arbeitsmarktpotenzial. Deren Beschäftigungsquote liegt aktuell bei „lediglich 70 Prozent“.
Professorin Dr. Vanessa Borkmann, Leiterin des Forschungsbereichs „Stadtsystem-Gestaltung“ am Fraunhofer IAO und Autorin der Studie, umreißt den akuten Handlungsbedarf: „Mit Jedem, den wir in eine Beschäftigung bringen, entlasten wir die Sozialsysteme und stärken unsere Volkswirtschaft. Ihr besonderes Augenmerk sollte die Politik daher auf die spezifischen Bedürfnisse der Gastwelt richten, die in Sachen Integration besonders effektiv unterwegs ist.“ DZG-Vorstandschef Dr. Marcel Klinge bringt das aktuelle Problem auf den Punkt: „Wir brauchen mehr qualifizierte Zuwanderung, um den Wohlstand in unserer immer älter werdenden Gesellschaft dauerhaft zu sichern. Aber wir wissen diesen Hebel aktuell noch nicht richtig zu nutzen. Wenn wir als Land Menschen aus dem Ausland deutlich schneller und effektiver integrieren, kosten uns Migranten keine zig Milliarden, wie in der öffentlichen Debatte oftmals pauschal unterstellt, sondern bringen unserer Volkswirtschaft zusätzliches Wachstum und dem Staat dringend benötige Steuereinnahmen.“
Personallücke kostet Wertschöpfung und Steuereinnahmen
Diese Einschätzung belegen auch aktuelle Zahlen des Fraunhofer IAO in der Studie: So haben im größten Gastwelt-Sektor, der Hospitality (Gastgewerbe), über 40 Prozent der Beschäftigten eine Einwanderungsgeschichte, in der Gesamtwirtschaft trifft das lediglich auf 15 Prozent zu. Während die Gastwelt an der direkten Beschäftigung bundesweit einen Anteil von sechs bis sieben Prozent ausmacht, arbeiten hier bereits 12 Prozent der Geflüchteten, die sich derzeit in Deutschland aufhalten. Das sind knapp 150.000 Personen, die nicht mehr auf soziale Sicherung angewiesen sind, weil sie ein eigenes Einkommen erzielen. Für die öffentliche Hand bedeute dies Einsparungen von monatlich rund 150 Millionen Euro oder rund 1,8 Milliarden Euro pro Jahr, so eine Beispielrechnung des IAO.
Doch diese Menschen reichen nicht aus, um eine Personallücke zu schließen, die sich um Zuge des demografischen Wandels stetig vergrößert und zwangsläufig die Wertschöpfung des Dienstleistungssektors und damit die Steuereinnahmen des Staates mindert – weshalb es nahe liegt, die Betriebe der Gastwelt wirtschaftspolitisch zu stabilisieren und besser zu unterstützten. Tatsächlich fehlten dem gesamten Dienstleistungssektor aktuell zwischen 120.000 bis 145.000 Arbeitskräfte, allein in der Hospitality sind es mindestens 65.000 Mitarbeitende. Das Fraunhofer IAO geht davon aus, dass sich der Mangel mit dem Rückzug der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt bis Anfang der 2030er-Jahre auf bis zu 600.000 fehlende Beschäftigen erhöhen könnte. Das bedeutet: Die Gastwelt braucht unbedingt bessere Möglichkeiten, Geflüchtete und Zuwanderer schnell und effizient einzubinden. Und sie braucht mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ein Mitarbeitender erwirtschaftet z.B. im Gastgewerbe durchschnittlich 35.000 Euro pro Jahr an Bruttowertschöpfung. Bei den 65.000 unbesetzten Stellen allein in diesem Teilsektor der Gastwelt gehen Deutschland pro Jahr rechnerisch 2,3 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung verloren.
Beschleunigte Anerkennungsverfahren und mehr berufliche Sprachkurse
Im Ausland erworbene Qualifikationen werden häufig nicht oder erst mit langen Verzögerungen anerkannt. Entsprechende Verfahren dauern monatelang. Dass es schneller geht, zeigt sich am Beispiel anderer Sektoren wie etwa der Pflegebranche. Für Verzögerungen auf dem Weg in eine Beschäftigung sorgt immer wieder auch die Bearbeitungszeit für Arbeitsvisa und Arbeitserlaubnisse für Nicht-EU-Bürger. Dieses Schneckentempo raubt Arbeitgebern nicht nur Zeit und Geld, sondern kostet letztlich auch den Fiskus Steuereinnahmen in beachtlicher Höhe: Bei einer Verzögerung von sechs Monaten, in denen eine Arbeitskraft ein monatliches Bruttogehalt von 2.800 Euro verdienen könnte, verliert ein Unternehmen z.B. 16.800 Euro an Produktivität. Falls die betreffende Person stattdessen sechs Monate Arbeitslosengeld bezieht, entstehen weitere Pro-Kopf-Kosten mindestens von 7.200 Euro für den Staat.
Außerdem braucht es, so die Fraunhofer-Expertinnen, bezahlte berufsorientierte Sprachförderprogramme, Weiterbildungs- und Beratungsangebote sowie Hilfestellung für Zuwanderer bei der Navigation durch Behörden und bei ausländerrechtlichen Fragen. Wichtig für die Betriebe der Gastwelt wäre außerdem eine Reform des Arbeitszeitgesetzes, die es den Betrieben ermöglichen würde, Teilzeit- und Schichtmodelle umzusetzen – eine Möglichkeit, die helfen könnte, weitere Arbeitskräfte zu mobilisieren, vor allem im Bereich der Mütter mit Migrationshintergrund – flexible Arbeitszeiten ermöglichen es gerade auch diesen, Familie und Job unter einen Hut zu bringen.
Unternehmen brauchen mehr Beinfreiheit und ein neuer Integrationsfonds würde helfen
„Die Parteien in Berlin sollten endlich erkennen, welch großes Integrationspotenzial unser Dienstleistungssektor besitzt, und diesen Hebel aktiv nutzen. Denn die Gastwelt kann noch mehr tun, wenn die Politik endlich einen entsprechenden Rahmen dafür setzt und uns mehr Beinfreiheit in der Praxis lässt“, so DZG-Vorstandschef Klinge. Er macht sich für eine systematische Integration stark, wie sie in Ländern stattfindet, die mit Deutschland im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte stehen und für Migranten als attraktivere Gastländer gelten. Wie etwa Österreich oder Kanada, die beide jeweils ein Integrationsjahr für Geflüchtete anbieten. Unsere österreichischen Nachbarn wissen um die Bedeutung der Aufgabe: Sie haben, um Sprachkurse und Arbeitsmarktintegration zu finanzieren, eigens einen Integrationsfonds aufgelegt. „Diesen sollten wir in ähnlicher Form auch in Deutschland einführen. Die staatlichen Mittel dafür wären am Ende eine gute Investition.“
Die Studie wurde dank der freundlichen Unterstützung folgender DZG-Partner umgesetzt: METRO (Foodservice), HGK Hotel- und Gastronomie-Kauf eG (Foodservice), Shiji (Hospitality) und Dorint (Hospitality).
Weitere Informationen unter https://zukunft-gastwelt.de/studien/integrationsmotor-gastwelt/.
Die vorgestellten Ergebnisse beziehen sich auf die erste Schwerpunkt-Gruppe der Studie, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Flüchtlinge. Alle Erkenntnisse zur zweiten Fokus-Gruppe, nämlich junge Menschen ohne Berufsabschluss in Deutschland (knapp drei Millionen Personen), werden am 14. Januar 2025 separat vorgestellt.
+++ Zur Denkfabrik: Die 2021 gegründete Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) vernetzt Politik, Verbände und hochkarätige Vertreter*innen aller Wertschöpfungssektoren der Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie (wie z.B. Radeberger Gruppe, Deutsche Bahn, Unilever Food, Motel One, Transgourmet, METRO, Center Parcs, Dorint, Bioland, Dussmann, NordCap, Best Reisen, Rational, Gerolsteiner). Der interdisziplinäre Thinktank kümmert sich inhaltlich vor allem um strategische Zukunftsthemen – wie Mitarbeitergewinnung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ernährungswende – und entwickelt praxisnahe Maßnahmen zur effektiveren Krisen-Bewältigung. Die Mitgliedsunternehmen der Denkfabrik beschäftigen in Summe über 672.000 Mitarbeitende in allen Regionen Deutschlands. Finanziert und getragen wird der Thinktank von der Union der Wirtschaft e.V. +++ www.zukunft-gastwelt.de
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