- Reduzierung der Leitzinsen um 25 oder höchstens 50 Basispunkte möglich
- Moderate Erleichterung für einzelne Branchen
Mit Spannung blicken Finanzmärkte, Wirtschaft und Verbraucher auf die Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) am 6. Juni. Der Grund: Die Zinsentscheidungen der EZB haben weitreichende Auswirkungen auf die Wirtschaft Deutschlands und der Eurozone. „Die Inflation lässt eine moderate Senkung der Zinsen derzeit zu“, sagt Reinhard Grawe, Abteilungsdirektor Risiko Deutschland beim internationalen Kreditversicherer Atradius. Die Marktanalysten von Atradius rechnen in der Juni-Sitzung mit einer Reduzierung der Leitzinsen um 25 oder höchstens 50 Basispunkte. Der wichtigste Leitzinssatz der Europäischen Zentralbank liegt aktuell bei 4,5 Prozent.
Da die Zinssenkung allgemein erwartet wird, seien die Auswirkungen auf die Finanzmärkte eher gering, schätzt Atradius. Zumal die EZB auf ihrer letzten Ratssitzung im April bereits mögliche Zinssenkungen im Juni angedeutet hatte. Wenn die neue Bewertung der Inflationsaussichten, der Dynamik der zugrundeliegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission durch den EZB-Rat das Vertrauen in eine nachhaltige Annäherung der Inflation an das Ziel weiter stärke, wäre es angemessen, das derzeitige Niveau der geldpolitischen Restriktionen zu reduzieren, hieß es von Seiten der EZB im April.
Würde die EZB den aktuellen Zinssatz dagegen beibehalten, könnte dies negative Auswirkungen auf die Aktienmärkte haben. Der Kreditversicherer Atradius geht aber davon aus, dass die EZB vorsichtig agieren wird. Bei einer Senkung der Leitzinsen um 25 oder höchstens 50 Basispunkte im Juni lägen die Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nach den Modellen der EZB nach zwei Jahren zwischen 0,2 Prozent und 0,4 Prozent.
Welche Branchen von einer Zinssenkung profitieren
Die aktuelle Entwicklung der Inflation, so der Atradius-Manager weiter, lasse eine moderate Senkung der Zinsen derzeit zu. Angesichts der lahmenden deutschen Konjunktur dürfte diese Senkung aber höchstens für moderate Erleichterung sorgen. „Der nächste Schritt der EZB wird keinen Boom hervorrufen“, dämpft Reinhard Grawe zu hohe Erwartungen. So profitiere etwa die Bauindustrie noch nicht von einer einmaligen, moderaten Zinssenkung, so dass die Bauinvestitionen im Jahr 2024 auf niedrigem Niveau verharren werde. „Erst bei nachhaltigerer Zinssenkung wird ein Effekt bei den Bauinvestitionen spürbar sein.“
Im Maschinenbau könnte sich die Situation nach seinen Worten durch eine Zinssenkung verbessern. Viel entscheidender werde aber sein, ob die stark exportorientierte Branche wieder auf eine stärkere Auslandsnachfrage nach Hochtechnologieprodukten aus Deutschland hoffen könne. Die Investitionsgüterindustrie könnte von niedrigeren Zinsen profitieren, da die Kosten für Investitionsfinanzierungen sinken, was Investitionen in neue Maschinen und Anlagen attraktiver mache. Branchenübergreifend, so Reinhard Grawe, helfe eine Zinssenkung hochverschuldeten Unternehmen, insbesondere Private-Equity-Firmen im Industriebereich, da sie häufig hohe Verbindlichkeiten hätten und entsprechend von einer Zinssenkung profitierten.
Kaum Auswirkungen auf den Konsumbereich
Nach Einschätzung von Atradius werde der Konsum in Deutschland weniger durch die mögliche Zinssenkung stimuliert, als vielmehr durch die deutlich sinkende Inflation. Der Kreditversicherer geht daher davon aus, dass die Konsumausgaben in diesem Jahr leicht steigen werden. In vielen konsumnahen Branchen wie in der Modebranche werde dies aber nicht ausreichen, um wieder in ruhiges Fahrwasser zu kommen.
Sollte es entgegen der Erwartungen nicht zu einer Zinssenkung kommen, stiegen die Risiken insbesondere im Baubereich, in Einzelsegmenten im Konsumgüterbereich sowie im Maschinenbau weiter. Demgegenüber blieben die Liquiditäts- und Insolvenzrisiken im Lebensmittelbereich sowie etwa auch im Reisesektor gering.
Über Atradius
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