Bis zum Dienstag wäre das, was der Terrororganisation Hisbollah im Libanon widerfahren ist, nur als Drehbuch-Detail eines futuristischen Agententhrillers durchgegangen. Anschläge mit präparierten Elektronikgeräten auf Einzelpersonen hat es schon gegeben. Aber Tausende Funkgeräte gleichzeitig explodieren lassen – das ist eine beispiellose Tat, die israelischen Geheimdiensten zuzuschreiben sein dürfte.
Eine Tat mit unabsehbaren Konsequenzen für die Hisbollah und ihre iranischen Hinterleute. Der Tod einiger Funktionäre und die Verwundung Hunderter weiterer ist vermutlich nicht einmal das größte Problem, das die schiitischen Extremisten jetzt haben. Auch ihr komplettes Kommunikationssystem ist kompromittiert. Und die Folgen der Anschläge haben Israel ein gewaltiges Paket neuer Informationen geliefert: Jedes Video, das zeigt, wie ein vermeintlicher Zivilist plötzlich zusammenbricht, jeder Bericht aus den Notaufnahmen libanesischer Krankenhäuser, jede einschlägige Internetbotschaft liefert Daten.
Nicht zu vergessen das Verhalten des Iran, der Israel Terrorismus vorwirft – nachdem er zuvor mitgeteilt hatte, dass sein eigener Botschafter im Libanon unter den Verletzten war. Der feine Diplomat war also im Besitz eines Hisbollah-Piepsers und somit in die Kommandostruktur der Terrormiliz eingebunden, was man sich zwar denken konnte, was aber nun offen zu Tage liegt.
Aus heiterem Himmel sind die Mossad-Anschläge nicht erfolgt, im Gegenteil: Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 hat die Hisbollah ihren Raketenterror so ausgeweitet, dass Teile Nordisraels unbewohnbar sind. Zehntausende Israelis sind zu Binnenflüchtlingen geworden. Israels Führung sah sich zum Handeln gezwungen – und setzte statt eines massiven Militäreinsatzes auf eine Geheimdienstoperation. Auch die aber hat wohl Unschuldige das Leben gekostet.
Und sie ist eine tiefe Demütigung für Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah und den Iran. Beide betreiben bisher ein doppeltes Spiel: eskalieren ja, aber in einem Ausmaß, das sie für beherrschbar hielten. Die Regierung in Jerusalem setzt wohl darauf, dass Iran sich einen großen Krieg auch weiterhin nicht leisten kann. Darauf muss sie hoffen, denn ein Drei-Fronten-Krieg – in Gaza, im Libanon und im Westjordanland – wäre auch für Israel ein hohes Risiko.
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