Zehn Jahre nach dem Genozid an den Jesid*innen im Nordirak ist das Schicksal von rund 1.300 damals verschleppten Kindern immer noch ungeklärt. Tausende weitere Mädchen und Jungen sind bis heute obdachlos, leben in Geflüchteten-Camps oder unter schwierigsten Bedingungen in ihrer alten Heimat Sindschar. Die Kinderrechtsorganisation Save the Children fordert mehr Hilfe für die Betroffenen, die bis heute unter den Folgen der Gewalt und Zerstörung leiden.
„Jesidische Kinder haben wie alle Kinder ein Recht auf Schutz, Sicherheit und Zugang zu Bildung“, betont Jihan Akrawi, Leiterin der Programme für den Nahen und Mittleren Osten bei Save the Children Deutschland. „Doch auch nach zehn Jahren sind Familien immer noch zerrissen. Und weder in den Camps für Geflüchtete noch in Sindschar können Kinder sicher und gesund leben und die Bildung erhalten, die sie für eine hoffnungsvolle Zukunft brauchen. Save the Children setzt sich deshalb mit Nachdruck für mehr Investitionen in Bildung, Gesundheitsversorgung und sichere Lebensbedingungen für geflüchtete und zurückgekehrte jesidische Familien im Irak ein.“
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind immer noch rund 200.000 Jesid*innen Vertriebene im eigenen Land. Viele sind obdachlos oder leben in Camps, in denen es kaum Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung gibt. Wer nach Sindschar zurückkehrt, findet auch zehn Jahre nach dem Massaker zerstörte Häuser, Straßen, Schulen und Kliniken vor; Wasser und Strom gibt es kaum. Minen und Blindgänger machen die Gegend laut der Hilfsorganisation Humanity & Inclusion zu einer der am stärksten mit Sprengkörpern verseuchten Regionen des Irak.
Systematisch tötete und verschleppte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) am 3. August 2014 und in der Folgezeit rund 10.000 Jesid*innen; etwa die Hälfte waren Kinder. Auch unter den Tausenden, die auf ihrer Flucht ins Gebirge verhungerten, verdursteten oder an ihren Verletzungen starben, waren fast nur Kinder (93 Prozent). Bereits Jungen im Alter von sieben Jahren zwang der IS als Kindersoldaten in seine Ausbildungslager, zeigt ein Bericht von Save the Children aus dem Jahr 2023. Mädchen wurden vergewaltigt und sexuell versklavt, und mehr als 400.000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.
Nach Schätzungen der Organisation Yazda werden bis heute etwa 2.700 Jesid*innen vermisst, darunter rund 1.300, die zum Zeitpunkt ihrer Entführung Kinder waren. Die Organisation Nadia’s Initiative nimmt an, dass 300 bis 400 Mädchen und Jungen unter 18 Jahren immer noch in den Händen des IS sind. Mehr als 3.500 Jesid*innen konnten gerettet werden, darunter 2.000 Kinder.
Behat* war acht Jahre alt, als der IS sein Dorf überfiel. Er ist immer noch auf der Suche nach seinen Eltern und Geschwistern. „Ich hielt die Hände meines Bruders fest und schrie sie an, ihn mir nicht wegzunehmen. Aber sie nahmen ihn mit, und ich habe ihn nie wiedergesehen. (…) Ich möchte auch meine Eltern finden. Es ist so schwierig, sich nach zehn Jahren noch an ihre Gesichter zu erinnern“, sagt der 17-Jährige.
Solche Erlebnisse prägen das Leben vieler Jesid*innen bis heute – und vermutlich ein Leben lang. Laut einer Studie von Save the Children (2022) leidet ein Großteil der Betroffenen an psychischen Problemen wie Angstzuständen oder Depressionen, Kinder berichten von Einsamkeit und Suizidgedanken.
Die 26-jährige Athaab*, war 16 Jahre alt, als sie vom IS entführt und sexuell missbraucht wurde. Sie kehrte nach Sindschar zurück und lebt dort mit ihren Kindern in einem beschädigten Haus. Der größte Teil ihrer Familie wird weiter vermisst. „Ich gehörte zu denen, die mit der ganzen Familie gefangen genommen wurden. Sie haben uns unterdrückt und gequält. Ich konnte meine Familie nicht finden, als ich vor ihnen floh und nach Hause zurückkehrte. Ich habe jetzt niemanden mehr.“
Save the Children arbeitet seit 1991 im Irak und ist dort eine der größten internationalen Nichtregierungsorganisationen, die Kinder, Jugendliche und Familien unterstützen. In den Gouvernements Duhok und Ninewa ist die Kinderrechtsorganisation in Jugendschutznetzwerken aktiv und arbeitet in den Bereichen Bildung und psychosoziale Gesundheit.
* Name zum Schutz geändert
Zusatzmaterial zum Download:
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Über Save the Children
Im Nachkriegsjahr 1919 gründete die britische Sozialreformerin und Kinderrechtlerin Eglantyne Jebb Save the Children, um Kinder in Deutschland und Österreich vor dem Hungertod zu retten. Heute ist die inzwischen größte unabhängige Kinderrechtsorganisation der Welt in rund 120 Ländern tätig. Save the Children setzt sich ein für Kinder in Kriegen, Konflikten und Katastrophen. Für eine Welt, die die Rechte der Kinder achtet, in der alle Kinder gesund und sicher leben sowie frei und selbstbestimmt aufwachsen und lernen können – seit über 100 Jahren.
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