Auch 15 Jahre nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka gibt es weiterhin keine Aufarbeitung der Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein heute veröffentlichter UN-Bericht thematisiert die anhaltende Straflosigkeit und Gewalt gegenüber Tamil:innen.
„Wir trauern um zehntausende Tote, um so viele Familienangehörige und Freunde. Wir wurden damals von der Welt verlassen – und noch immer fühlen wir uns verlassen. Für uns gibt es keine Gerechtigkeit“, so Kumanan Kanapathippillai, der als tamilischer Jugendlicher unzählige Bombenangriffe überlebte und heute als Journalist arbeitet.
Der 18. Mai 2009 markiert den Höhepunkt der finalen Phase des Bürgerkriegs. Innerhalb weniger Monate wurden hunderttausende Tamil:innen in die als „no fire zone“ deklarierte Region Mullivaikkal vertrieben. Die singhalesische Militärregierung ordnete daraufhin die Bombardierung dieser Zone an. Konservative Schätzungen gehen von 40-70.000 Toten in nur wenigen Wochen aus.
Da die damaligen Menschenrechtsverletzungen nicht aufgearbeitet worden sind, rief das UN Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) mit dem Sri Lanka Accountability Project eine eigene Untersuchungskommission ins Leben. Der jetzt vorgelegte Bericht Report on Accountability for Enforced Disappearances in Sri Lanka bezeugt, wie durch die andauernde Straflosigkeit ein gesellschaftliches Klima geschaffen wird, das bis heute fortgesetzte Formen von Ausgrenzung, Diskriminierung, Misshandlung und Verschwindenlassen gegenüber der tamilischen Minderheit ermöglicht. Volker Türk, Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, erklärt dazu: „Zehntausende Familien von Verschwundenen suchen noch immer nach ihren Angehörigen und sind bei ihrer Suche Einschüchterungen, Verhaftungen und Gewalt ausgesetzt.“
Karin Zennig, medico-Referentin für Sri Lanka kommentiert: „Mit der unterschiedslosen Tötung der Tamil:innen in Mullivaikkal wurde ein weltweiter Präzedenzfall für die Bekämpfung von politischen Gegnern und ethnischen Minderheiten im eigenen Land geschaffen. Die sogenannte Sri-Lanka-Lösung ist zum Modell zur Aufhebung von Völker- und Menschenrecht im Namen der Verteidigung staatlicher Souveränität geworden.“
medico international unterstützt seit zwanzig Jahren tamilische wie singhalesische Menschenrechtsaktivist:innen in Sri Lanka bei ihren Bemühungen um Aufklärung und Strafverfolgung. Gemeinsam mit dem Netzwerk Sri Lanka Advocacy hatte sich medico im Jahr 2015 für die Resolution 30/1 beim UN Menschenrechtsrat (UNHRC) stark gemacht, die damals im Konsens und mit Unterstützung der sri-lankischen Regierung unter Maithripala Sirisena verabschiedet wurde. Die Resolution 30/1 hatte den jetzt veröffentlichten Bericht in Auftrag gegeben. Im Jahr 2020 widerrief die Nachfolgeregierung unter Gotabaya Rajapaksa den Konsens und lehnte den Bericht ab.
Andreas Schüller von der medico-Partnerorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) vermittelte für den Bericht des OHCHR tamilische Überlebende: „Viele reden vom Völkerstrafrecht, für Tamil:innen bleibt es unerreicht. Es ist nicht zu spät, die Völkerstraftaten von sri-lankischer Regierung und Militär international aufzuarbeiten. Eins steht für mich unmissverständlich fest: Jede Form von Doppelstandards in der Verfolgung und Beurteilung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen müssen vermieden werden. Staaten dürfen sich in Bürgerkriegen nicht alles ungestraft erlauben. Das gilt auch für Sri Lanka.“
Veranstaltungsankündigung
“ 15 Jahre offizieller Frieden“, am 5. Juni um 11:00 Uhr in Berlin:
Die Referent:innen von OHCHR, ECCHR und medico international stehen ab 10:00 Uhr für Pressegespräche zur Verfügung. Mit der Bitte um Anmeldung bis zum 3. Juni an presse@medico.de
Pressekontakt:
Für Rückfragen & Interviewwünsche
Karin Zennig, medico-Referentin für Sri Lanka, +49 163 2558 466, zennig@medico.de
Timo Dorsch, medico-Pressereferent, +49 160 40 66 331, dorsch@medico.de
Martin Glasenapp, ECCHR-Pressereferent, +49 179 109 1553, glasenapp@ecchr.eu